"Alt trainiert mit Jung" - Synergie beim Krafttraining alpiner Rennläufer

01.06.2015

Bezirk 5 - Westhessen

Geprägt durch jahrelange Erfahrung, Verletzungen, Verschleiß, Erfolge und Misserfolge  führen ältere Skisportler ihr Krafttraining meist korrekt und gelenkschonend aus. Komplexes Wissen über die besten persönlichen Übungen, Ernährung und Nahrungsverträglichkeit stellt sich oft erst nach vielen Jahren ein. Junge Rennläufer hingegen tasten sich oft mühsam an das Krafttraining heran, Übungen werden unsauber ausgeführt und falsche Atemtechnik angewendet. Der noch fehlenden Maximalkraft sowie der mangelnden Rumpfstabilität steht der verständliche Ehrgeiz entgegen, schwere Gewichte bewegen zu wollen. Unwissenheit und Ausübungsfehler können insbesondere in der Anfangsphase eine Menge kaputt machen. Der Autor weiß aus eigenem Gelenkverschleiß wovon er spricht.

In Mannschaftssportarten wie Basketball und Handball sowie in der Leichtathletik trainieren junge Sportler unter Anleitung der Trainer gemeinsam im Kraftraum oder Fitnesscenter. Alpine Rennläufer aus Vereinen, Bezirks- oder Landeskadern trainieren mehr oder weniger alleine. Die wenigsten Skiclubs besitzen eigene Krafträume, glücklich ist derjenige, der im Fitnesscenter einen kompetenten Trainer antrifft, der die Anforderungen des alpinen Rennlaufs kennt. Die Skitrainer selbst befinden sich in einem Konflikt: Einerseits wissen sie, dass Rennläufer, deren Längenwachstum abgeschlossen ist, mit schweren Gewichten trainieren müssen um Fortschritte zu erzielen. Andererseits sind sie nicht ständig dabei, wenn der Athlet in seinem heimatlichen Kraftraum die Übungen ausführt und müssen  den Vorwurf   fürchten, durch Empfehlung schwerer Programme Beschwerden oder Verletzungen verursacht zu haben. Deshalb enthalten die von Trainern aus Literatur und Trainingslehre empfohlenen Kraftprogramme oft Übungen, die keinem weh tun. Nun sind diese keinesfalls verkehrt und sollten nicht despektierlich kommentiert werden. Viele der Übungen stellen Training für Kinder und Schüler unter 14 Jahren dar. Jugendliche und Aktive indes benötigen den Trainingsreiz mit mittelschweren bis schweren Gewichten, starke Rennläufer absolvieren z.B. Hantelkniebeugen mit 120 bis 200 kg (Tina Maze beugt während der laufenden Rennsaison 140 kg bis zum horizontalen Oberschenkel).  An der 45° Beinpresse arbeiten viele Skifahrer mit 300 bis 400 kg. Kniebeugen mit einer Holzstange oder einer 10 kg Hantelstange ohne Zusatzgewicht bedeutet für einen ausgewachsenen Rennläufer eher “Kindergeburtstag” als Krafttraining. An dieser Stelle kann jetzt ein gemeinsames Training von jung und alt Früchte tragen, wenn man sich im Kraftraum trifft. Der Mastersfahrer gibt dem jungen Rennläufer Tipps und Hilfestellung bei Kniebeugen und Übungen mit der freien Hantel. Er weiß, wie man den Rücken halten muss und wann man einen Gewichthebergürtel anlegt. Hat der Senior richtig viel Ahnung, kann er auch individuell einschätzen, ob der Körpertyp des Rennläufers ektomorph, mesomorph oder endomorph veranlagt ist und dem Athleten in Aussicht stellen, wie viel Kraft und Muskelmasse er oder sie über den Sommer zunehmen kann und wie die Ernährung dafür aufzubauen ist. Außerdem sieht er, wie sich das Verhältnis Oberkörperkraft zur Beinkraft entwickelt und erklärt ihm individuelle Programme.  Auch der Senior profitiert vom gegenseitigen Ansporn, er macht zusammen mit dem konditionsstarken Junioren mehr Sätze als er alleine trainieren würde. Vielleicht auch etwas schwerer als geplant um zu zeigen was er noch drauf hat. So wird auch beim Krafttraining nochmals der Respekt füreinander verstärkt, den wir von unseren gemeinsamen Ski- und Inline Trainingseinheiten kennen. Am Ende kann der Senior eine überaus heikle Mission erfüllen, indem er den jungen Trainingspartner durch klare Worte und seiner Vorbildfunktion von der Verlockung der in Fitnesscentern allgegenwärtigen Dopingmittel fernhält. 

Nachsatz:

Der Autor, Jahrgang 1949, trainiert heute noch zwei- bis dreimal pro Woche mit Gewichten. Als Leichtathlet der 1970-er Jahre durch "Bandscheibenvernichtende" Übungen dieses Zeitalters bereits mit 30 Jahren Rücken geschädigt, konnten durch gezielte Aufbauprogramme Rücken und Rumpf weitestgehend stabilisiert und Operationen vermieden werden. Die Bestleistungen liegen im Bankdrücken bei exakt ausgeführten 180 kg und an der 45° Beinpresse bei 300 kg.

Von: Jochen Reinders